Samstag, 9. August 2014
09.08.14 Thema "Achtsamkeit"
Ich hatte bereits meine ganze Wohnung von Schmutz und Staub befreit und beschloss nun noch ein wenig Luft in meine Fahrradreifen zu pumpen. Vom Putzen schon ein wenig erschöpft holte ich die Standpumpe aus der Ecke hervor und fing an draußen vor meiner Haustür das Zwischenstück auf das Ventil zu schrauben. Das ist immer ein wenig fummelig und meist schraube ich es falsch auf und muss es dann nochmals von der anderen Seite probieren.

Wie ich da so vor dem Fahrrad hocke steigt ein gutaussehender, sportlicher Fahrradfahrer von seinem Drahtesel und sagt zu mir: "Na, klappt das auch mit dem Aufpumpen?"

Es war ein freundlicher und argloser Tonfall und ich antwortete ebenso freundlich: "Vielen Dank, das geht schon." Mein Retter in der Not stieg also wieder auf und radelte davon.

Hätte ich die Hilfe annehmen sollen? Seit gut 40 Jahren fahre ich nun schon Fahrrad und habe in dieser Zeit sicherlich schon eine ganze Menge Fahrradschläuche auf gepumpt, wobei ich zugeben muss, dass diese Standpumpe und dieses fummelige Zwischenstück mich immer verunsichern.

Es musst dann also so kommen, dass die Pumpe gerade mitten in meinen Überlegungen hinein ihren Geist aufgab. - Kein Druck auf der Pumpe, egal wie rum ich das Zwischenteil auch immer aufschraubte - und da es nur zwei Endstücke gibt waren da ja nicht viele Möglichkeiten...

Vor ein paar Wochen lief sie noch einwandfrei. Ich kontrollierte alle möglichen Teile, schraubte die Pumpe auf - es schien kein Grund zu geben warum das jetzt nicht ging. Sollte ich tatsächlich ein Y-Chromosom zu wenig oder ein X-Chromosom zuviel haben um solch einer Aufgabenstellung nicht gewachsen zu ein?

Meine Stimmung befand sich im Sinkflug, obwohl ich wusste, dass es der Mann nicht böse gemeint hatte und ich ja auch nichts falsch gemacht hatte - oder doch?

Das Hin und Her in meinem Kopf und meine erfolglosen Versuche wohlwollend und Achtsam mit meinen Gedanken und Gefühlen umgehen zu wollen machten mich Hilflos.

"Da ist es nun am besten, ich steige auf meine Fahrrad", das Gott sei Dank noch genügend Luft in den Reifen hatte, "und fahre in die Stadt". Der Kauf einer Handluftpumpe, die ich in Zukunft dann sogar in den Rucksack stecken konnte, würde mich aufmuntern. Vielleicht entlocke ich dem Verkäufer sogar eine Idee was schief gelaufen sein könnte.

Im Laden fragt mich ein Mann um die 20 ob er mir helfen könne, oder ob ich erst mal drüber schauen wolle. Letzteres bitte - mit Helfen lassen hab ich es heute nicht so.

Nachdem ich mich ein wenig eingelesen hatte, war der richtige Zeitpunkt gekommen und glücklicherweise kam auch gleich ein zweiter Verkäufer auf mich zu. Ein großer, sportlicher, Mann der immerhin schon die 30 Jahre erreicht haben dürfte. Er zwinkerte mir gutgelaunt zu und ich hatte damit zu tun die vitale Ausstrahlung des kraftstrotzenden männlichen Körpers zu ignorieren und mich auf die sachliche Ebene zu begeben.

Ich schilderte mein Problem und interessierte mich für das günstigste Teil. Auf meine Frage wie man denn (heutzutage) ermittelt wie weit der Reifen schon aufgepumpt sei. Empfahl er mir die alte "Daumenprobe". Ich war ein wenig enttäuscht, denn ich hatte gehofft es gäbe dafür inzwischen ein chickes Messgerät an der kleinen Pumpe. Für technischen Extraschnickschnack habe ich etwas übrig und hätte dann gerne auch tiefer in die Tasche gegriffen.

Er meinte der Daumen genüge vollauf um fest zu stellen wie hart er ist. Dieses Adjektiv brachte mich aus meiner mühsam errungenen Sachlichkeit, was ich mir auf keinen Fall anmerken lassen wollte. In Erinnerung an die luxeriöse Baranzeige, die ich in den letzten Jahren zu schätzen gelernt hatte, erwiderte ich: "Ja aber, der Reifen ist ja irgendwie immer hart?" Das letzte Wort hatte ich beinahe verschluckt. Mir war die ganze Situation peinlich und das schlimme war, dass ich wusste, dass ganz alleine ich diese Situation peinlich machte.

Freundlich wechselte mein Gegenüber das Thema und fragte nun welches Ventil auf meinem Fahrrad angebracht sei. Dumm nur, dass ich keine Ahnung hatte - ich dachte es gäbe nur eines für Fahrräder. "Ist das Ventil eher dünn oder dick?" "Dünn!" Antwortete ich schnell bevor noch irgend ein anderer Gedanke sich dazwischen drängen konnte. Das Wort war raus, verhinderte aber nicht, dass mein Fokus wieder in eine ganz andere, ungewollte Richtung lief. Als ich endlich aus dem Laden kam war ich erleichtert.

Die Sonne schien freundlich, mein Fahrrad wartete und ich war jetzt Gott sei Dank wieder alleine mit mir und meinen Gedanken. "Jetzt könnt ihr los ziehen, spielen", sagte ich zu ihnen.

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