19.07.15 Achtsamkeit im Alltag
Vor 28 Jahren habe ich im Wirtschaftsstudium gelernt: Angebot und Nachfrage regeln den Preis und manchmal wird nach Moral nicht gefragt.

Der Wunsch nach menschlicher Nähe, Liebe und sozialen Interaktionen treibt uns an

Der Wunsch vieler europäischer Singlefrauen nach Nähe, Liebe und Geborgenheit hat in Zeiten des WWWeb ein illegales Angebot hervor gerufen. "Romance Scamming" ist ein neudeutscher Ausdruck von Heiratsschwindelei im Netz und es wird von großen Organisationen betrieben, die dieses Metier auf eine ganz neue Ebene gehoben haben.

Ich durfte in den letzten beiden Wochen erfahren wie subtil man sich auf`s Glatteis geführt fühlt, obwohl Aussenstehende mit anderem Betrachtung es unverständlich finden, wie man einem solchem Zauber auf dem Leim gehen kann.

Ich bin seit vielen Jahren Mitglied in einigen namhaften Singleportalen. Anfangs noch voller Einsatzfreude bin ich im Laufe der Zeit dazu übergegangen nur noch ein recht passives Mitglied zu sein und zu hoffen, dass Mr. Right schon von sich aus tätig werden würde.

Die Folge eines solchen Nutzerverhaltens ist, dass sich nicht viel abspielt. Wer wirklich etwas erleben will muss von sich aus tätig werden. Von den Vielen, die mein Profil betrachten gibt es nur wenige, die dann die Initiative ergreifen und eine Mail schicken oder mit mir chatten wollen.

Vor zwei Woche bekam ich eine begeisterte Mail in einem Kauderwelsch aus deutsch und englisch. Es begann eine Konversation in englischer Sprache. Mein Gegenüber war immerhin schon einmal fähig und willig mehrere vollständige und höfliche Sätze anständig zu formulieren, was für mich schon einmal einen großen Pluspunkt darstellte.

Romance Skamming: Folge unbefriedigter Rudelinstinkte

Eine rührend klischeehafte Geschichte über seine Ehe - er hat seine Frau im gemeinsamen Ehebett mit einem anderen erwischt - ließen bei mir die Alarmglocken nicht klingeln.

Froh, dass sich endlich mal wieder was tut, investierte ich eifrig Zeit und konnte dabei meine Englischkenntnisse auf Vordermann bringen. Konversation über Mail, Chat oder Skype jeden morgen und abend nahmen nicht nur meine Aufmerksamkeit während der Interaktion in Anspruch. Bald schweiften meine Gedanken auch in meiner übrigen Tageszeit ab, um englische Texte im Kopf schon einmal vor zu entwerfen.

Es dauerte nicht lange, dann gestand mir mein Gegenüber, dass er sich auf den ersten Blick in meine Fotos verliebt habe. Mein überaus wohlhabender Verehrer schmiedete schon Pläne für unsere gemeinsame Zukunft bis an unser Lebensende, noch bevor wir uns jemals im realen Leben getroffen hatten.

Der reiche Geschäftsmann mit Firmensitz in Heidelberg und Afrika schien eine Obsession für eine Frau zu hegen, die lediglich in seinem Kopf existierte und mit mir nur das Gesicht gemeinsam hatte.

Mir machte diese blinde Leidenschaft gepaart mit großer Naivität Angst. Eine gemeinsamen Zukunftsplanung bis an das Lebensende war mir ausserdem noch nie geheuer. Schon sehr bald war ich hin und her gerissen zwischen dem Wunsch den Mann, in den ich nun schon soviel Zeit investiert hatte, persönlich kennen zu lernen und dem Impuls die Beine in die Hand zu nehmen und so weit wie möglich weg zu laufen.

Am Ende siegte letzteres, aber erst 5 Tage später kam ich auf die Idee bei Google folgende Stichworte ein zu geben: "Heiratsschwindler im Netz". Da erfuhr ich, dass es in Westafrika eine Organisation gibt, die Mails, Chat und Skype nutzen um einsame Frauen dazu zu bewegen Geld, Zeit und Gefühle zu investieren. Ein einzelner Heiratsschwindler existiert womöglich gar nicht, wahrscheinlich bin ich im Teamwork betreut worden.

Was übrig bleibt ist die Erkenntnis wie leicht die menschliche Phantasie mit mir durchgeht. Ich habe es meinem starken Unabhängigkeitsdrang zu verdanken kein Opfer geworden zu sein.

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arboretum, Sonntag, 19. Juli 2015, 6:57 PM
Bloß gut, dass Sie auf Ihr Bauchgefühl gehört und es noch rechtzeitig gemerkt haben! Diese Erfahrung war so schon hässlich genug.

glueck-lich, Montag, 20. Juli 2015, 9:44 PM
Ehrlich gesagt hatte ich Panik, weil gleich von Liebe bis ans Lebensende die Rede war - da war ich nicht so begeistert ;-)